Von der Angst loszulassen

Von der Angst loszulassen und zu kurz zu kommen

Oder

Ausräumen kann ganz schön anstrengend sein

Ich sortiere gern Dinge aus. Ballast, der mich belastet. Ein luftiges Haus bedeutet für mich Freiheit. Ein aufgeräumter Keller oder Kleiderschrank ist eine wahre Erleichterung für mich. Früher habe ich sehr viel „Zeugs“ gekauft und angesammelt. Die Kleidung und die vielen Spielsachen meiner Tochter kamen hinzu. Mit der Zeit entwickelte sich mein Keller zum Hindernisparcours. Ich sortierte nicht wirklich aus, sondern verschob die Dinge nur von einem Ort zum anderen. Der Berg blieb der Gleiche. Tief in mir saß die Angst, Besitz loszulassen. „Ich könnte es vielleicht noch brauchen!“ war immer mein Argument. Irgendwann, als ich kaum noch den Keller betreten konnte, weil er einfach zu voll war, irgendwann, als mein Kleiderschrank aus allen Nähten platzte und so vollgestopft war, dass ich nichts mehr fand oder alles verknittert war, da beschloss ich aufzuräumen und auszusortieren. Herrlich! Ich befreite mich von allem, woran mein Herz nicht mehr hing. Aber hier fingen andere Probleme an. Wohin mit dem Zeug? Ich wollte ja nicht alles einfach der Mülltonne überantworten. Die Sachen waren noch gut, viele hochwertig. Andere Menschen können meinen ehemaligen Besitz eventuell noch sehr gut gebrauchen. Gerade meine Bücher haben für mich großen Wert. Ein Autor hat sich große Mühe gegeben, das Buch zu schreiben. Es wurde verlegt, gedruckt und verkauft. Das kann ich nicht wegwerfen!

Es gibt viele Wege, meine Dinge loszuwerden.

Es hieß Menschen zu finden, die meine Sachen noch haben wollen. Ich entdeckte viele Wege, meine Dinge loszuwerden und machte sehr viele verschiedene Erfahrungen. Als erstes wurde mir der Gang auf den Flohmarkt empfohlen. Leider bin ich nicht so der Flohmarktenthusiast. Eine Freundin empfahl ein Unternehmen, an das man Kleidung und Bücher schicken kann und schon auf der Webseite sehen kann, wieviel man dafür noch bekommt. Gute Idee, dachte ich. Allerdings war das sehr zeitaufwändig. Ich musste zudem Päckchen packen und zur Post bringen. Selbst als ich sehr gute Kleidung und top erhaltene Bücher zu diesem Unternehmen schickte, gaben sie mir oft nicht das ausgewiesene Geld, weil angeblich Flecken oder Fehler am Produkt entdeckt wurden. Diese ganze Mühe und die viele Zeit! Nein! Nach ein paar Mal gab ich diese Art der Erfahrung auf.

Wertschätzung ist gar nicht so einfach.

Ich entschied mich im Folgenden die Online-Flohmarkt-Methode auszuprobieren: ebay-Kleinanzeigen. Aufwändig alles zu fotografieren war zwar sehr mühsam für mich. Aber ich wollte meine Wertschätzung zeigen und gab mir Mühe auch noch tolle Texte für die Anzeige zu verfassen. Was dann geschah ist für mich ein Spiegel unserer Gesellschaft. Leute wollten vieles haben, aber geschenkt, ohne Versand zu zahlen und stritten sich, wer was haben darf. Ich bekam Hassnachrichten, wenn ich etwas an jemand anders verkaufte. Diese Menschen haben wohl alle Angst, nicht genug abzubekommen. Sie befürchten, dass sie zu kurz kommen, nicht beachtet werden. Sie leben im ständigen Mangel. Ich veränderte zwar diesbezüglich mein Mindset „Ich ziehe nur wertschätzende Käufer an, die mir den gewünschten Preis zahlen“, was wirklich half, aber ich hatte keine Lust mehr, meine Zeit in diese Kleinanzeigen zu investieren.

Das alles macht mir gar kein Spaß. Ich empfinde Glück, wenn ich andere Menschen glücklich mache. Aber hier mache ich doch keine Menschen glücklich, oder?

Verschenken kann eine einfachere Lösung sein.

Ich ging dazu über, meinen Besitz lieber zu verschenken. Dazu benutzte ich fast ausschließlich eine bestimmte Facebook-Gruppe. Aber es wurde nicht besser, sondern schlimmer. Hier begegneten mir noch mehr Menschen, die im Gefühl des Mangels leben. Diese Leute jammern, dass alle anderen besser als sie dran sind. Das Gras ist beim Nachbarn immer grüner, deren Haus größer und schöner, deren Job besser, deren Urlaube länger und erlebnisreicher. Sie sehen nicht, was sie alles haben. Sie haben keinen Blick für all das Schöne und Wertvolle, das bereits in ihrem Leben ist. Zum Glück waren auch viele sehr liebe Menschen in dieser Gruppe, die mir sogar Süßigkeiten, Kärtchen und kleine Aufmerksamkeiten mitbrachten, als sie das Geschenkte abholten. Wegen dieser Leute blieb ich auch sehr lange in dieser „Verschenke-Gruppe“. Aber irgendwann hatte ich auch davon genug. Glücksgefühle? Fehlanzeige.

Verbindlichkeit ist mir wichtig.

Die vielen „verbindlichen Zusagen“ nervten mich zusehends. Leute, warum seid ihr nicht mehr verbindlich? Warum sagt ihr, dass ihr dann und dann kommt und das Teil unbedingt wollt? Und holt es nicht ab? Und sagt oft nicht mal Bescheid? Ihr begehrt etwas, damit ihr nicht zu kurz kommt? Oder an was liegt das? Erst laut „hier“ schreien und dann wieder verstummen. So wollte ich nicht meine Zeit vergeuden.

Es muss doch eine Methode geben, die leicht und unbeschwert ist! Sonst lasse ich das doch wieder mit dem Aussortieren. Hilfe!

Ok. Ich fand schließlich eine wunderbare Möglichkeit, meine Sachen loszuwerden. Und diese Methode ist genau die, bei der ich bleibe. Ich spende. Ich habe ein paar sehr gute Stellen, wie ein lokales Kinderheim und ein Second-Hand-Kaufhaus gefunden, die sehr dankbar sind. Das Personal ist superfreundlich, hilft sogar beim Ausladen und bedankt sich herzlich. Ich weiß, dass meine Sachen und die meiner Tochter Menschen glücklich machen und ein zweites Leben erleben dürfen. Glück? Ja!

Geht doch! Ich habe immer noch sehr viel im Keller und in den Schränken, aber ich kaufe kaum noch Neues dazu. Und wenn, dann sortiere ich Altes aus. Viele Bücher lese ich jetzt auch auf meinem E-Book-Reader. Kleidung kaufe ich nicht mehr inflationär. Und wenn, dann hochwertiger und meinem Stil und meinen Farben entsprechend. Es gibt keine Shopping-Eskapaden. Ich investiere mein Geld auch lieber in Reisen als in „Dekokram“, der doch nur vor sich hinstaubt.