Die kleine Fee
Es war einmal eine kleine Fee, die war sehr gutherzig. Sie liebte alle Menschen und wollte, dass alle glücklich und gesund sind. Auf ihrem Weg begegnete ihr eine alte Frau. Die lief gebückt an einem Stock. Jeder Schritt schien für sie eine Qual. Da dachte die Fee: „Juhu! Ich werde dieser Frau helfen. Ich zaubere sie wieder gesund, so dass sie ohne Schmerzen aufrecht laufen kann.“ Gesagt, getan. Sie schwang ihren Zauberstab, glitzernde Funken sprühten. Die alte Frau merkte: „Nanu, ich fühle mich so leicht. Ich habe keine Schmerzen mehr.“ Im ersten Augenblick sprach Unglauben aus der Frau. Dann Misstrauen. „Das bleibt ja nicht so. Ist bestimmt nur vorübergehend.“ Später: „Das kann gar nicht sein. Vielleicht ist was Schlimmeres mit mir, wenn ich keine Schmerzen mehr habe.“ Die Frau wurde immer missmutiger. „Ich kann mich gar nicht mehr über meine Krankheiten beschweren. Was soll ich da den anderen erzählen? Ich habe ja gar nichts mehr zu Jammern!“ Ja, wo soll diese Frau mit ihrer schlechten Laune hin? Also ließ sie ihre Übellaunigkeit an ihren Mitmenschen aus. „Die Autos fahren zu schnell. Die Brötchen schmecken nicht. Die Preise im Supermarkt sind viel zu teuer. Der Postbote ist unpünktlich. Das Wetter ist immer schlecht. Entweder zu heiß oder zu kalt. Schrecklich, das Leben.“
Die kleine Fee war sehr, sehr traurig, als sie sah, dass die alte Frau keineswegs glücklich war. „Aber sie hat doch keine Schmerzen mehr. Sie kann wunderbar laufen, ohne Stock. Ihr Rücken und ihre Beine sind vollkommen gesund! Ich verstehe das nicht.“
Da lief ein armer Mann vorbei. Der hatte kaum genug Geld zum Leben und suchte in den Mülleimern nach Pfandflaschen. „Oh, den kann ich bestimmt glücklich machen!“, rief die Fee aufgeregt. „Ich zaubere dir eine schöne, kleine und gemütliche Wohnung und genug Geld für deinen Lebensunterhalt.“ Gesagt, getan. Sie schwang den Zauberstab, glitzernde Funken sprühten. Schwupp, saß der arme Mann in seiner gemütlichen Wohnung. Er hatte genug Lebensmittel im Kühlschrank und eine funktionierende Heizung. Herrlich! Tatsächlich war der Mann auch für ein paar Tage glücklich. Aber dann überlegte er: „Es ist ganz schön anstrengend, diese Wohnung sauber und ordentlich zu halten. Und einkaufen gehen muss ich auch. Warum habe ich keine Putzfrau? Warum habe ich keine Haushaltshilfe? Und einen größeren Fernseher könnte ich auch haben. Der hier ist ja eher klein. Und das Haus, in dem ich meine Wohnung habe, liegt ja nicht mal im Grünen. Überhaupt könnte die Wohnung größer sein, dass ich ein zweites Zimmer hätte. Das Bad könnte ja auch ein Fenster haben. Nicht mal eine Badewanne gibt’s hier.“ So murrte und beschwerte sich der arme Mann am laufenden Band.
Die kleine Fee war sehr, sehr traurig, als sie sah, dass der arme Mann keineswegs glücklich war. „Aber er muss doch jetzt keine Mülleimer mehr durchwühlen. Er hat eine wundervolle Wohnung und genug zu essen. Ich verstehe das nicht.“
Da lief eine junge Frau vorbei. Sie telefonierte gerade mit ihrer Freundin und jammerte, dass sie viel glücklicher wäre, wenn sie endlich zehn Kilogramm abgenommen hätte. „Oh, diese Frau werde ich glücklich machen. Juhu!“, freute sich die kleine Fee. Gesagt, getan. Sie schwang den Zauberstab, glitzernde Funken sprühten. Die junge Frau war zehn Kilo leichter. „Das war einfach!“, dachte die Fee. „Huch! Was ist passiert? Ich fühle mich irgendwie anders.“, sagte die Frau in ihr Telefon. „Ich glaube, ich spinne. Ich bin schlanker um die Taille. Kein Witz!“ Die junge Frau freute sich natürlich total. Keine anstrengende Diät, kein Fasten, kein Training. Klasse! „Jetzt lebe ich endlich das Leben meiner Träume. Jetzt finde ich einen Partner, der mich liebt und einen richtig guten Job.“ Nur, nach ein paar Tagen zeigte sich im Leben der jungen Frau keinerlei Veränderung. Der Alltag blieb so langweilig, wie eh und je. Kein Traumprinz klopfte an die Tür. Der Chef nervte. Die Kollegin zickte wie immer. Da wurde die Frau richtig wütend. „Jetzt habe ich meine Traumfigur, aber nichts hat sich geändert.“ Sie wurde immer schlechter gelaunt. Von Glück keine Spur.
Die kleine Fee war sehr, sehr traurig, als sie sah, dass die junge Frau keineswegs glücklich war. „Sie hat doch jetzt ihr Wunschgewicht. Sie müsste sich doch freuen! Was habe ich nur falsch gemacht?“, klagte sie.
„Die Menschen müssen das Glück von innen spüren. Sie müssen sich selbst so lieben und akzeptieren, wie sie jetzt gerade sind. Erst dann werden sie deine Geschenke dankbar annehmen und wertschätzen können. Wer mit sich unzufrieden ist, dem hilft auch keine Veränderung im Äußeren. Wir müssen mit dem Inneren beginnen! Und die Menschen müssen wirklich bereit sein, sich verändern zu wollen.“, hörte die kleine Fee eine sanfte Stimme. Tränenüberströmt drehte sie sich um und sah die weise ältere Fee vor sich. „Aber ich wollte so gern den Menschen helfen, glücklich zu sein. Sie sind alle so traurig, unzufrieden und schlecht gelaunt.“, erwiderte die kleine Fee. „Die Menschen kämpfen gegen sich selbst. Sie haben immer Angst. Nimm ihnen die Angst, indem du ihnen Selbstliebe schenkst.“, sagte die weise Fee.
Und von da an war die kleine Fee unterwegs und brachte Liebe unter die Menschen, die bereit waren, die Angst loszulassen.